Perth

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Montag, 27. Juli 2015

Living the dream

Am Rande des Grand Canyon
Seien wir ehrlich: ganz fair bin ich nicht in die Affäre mit Amerika gegangen. Ich hatte Vorurteile, die hauptsächlich auf meinen wenigen Begegnungen mit Amis, den Nachrichten und dem Fernsehen basierten. Und ich gebe gerne zu, dass diese nicht unbedingt postiv waren.


Nicht nur, dass du da völlig falsch liegst, du bleibst zudem auf aggressive Weise bei deiner Meinung und nebenbei beleidigst du mich auch noch. Jetzt bist du Amerikanerin. -Barney Stinson (How I Met Your Mother)

Als Eva und ich in Los Angeles landen trifft uns beinah der Schlag. Nach der Einöde von Australien, Neuseeland und vor allem Fiji, kommen uns die Autos und ihre omnipäsenten Hupen wie das Wacken Festival vor. Wie ein kleines Kind verfolge ich jeden der Shuttle Busse von links nach rechts mit den Augen und freue mich, wenn es mal wieder besonders knapp zwischen zwei Limousinen wird. Nach einer Stunde kommt dann auch endlich unser Bus, der eine Mischung aus Limo und einem Drehort für (schlechte) Amateurpornos darstellt.

Long road to ruin
Im Hostel schreit man uns an, wir sollen uns beeilen die Zettel auszufüllen, sodass man fast meinen sollte, die arme Dame sei komplett überfordert. Fünf Minuten später bin ich voller Überzeugung, dass dies der Fall ist und überlege, ob ich über den Counter klettern und mich selbst einchecken soll. Noch schnell eine Bilanz: elf Stunden Flug, eine Stunde durch die Passkontrolle, eine Stunde auf das Shuttle warten, eine Stunde einchecken. Wir sind bedient und das ZImmer ist eine Katastrophe. Mein Kopf stellt mir zwei neue Funktionen zur Verfügung, den Satz ´Ihr seid doch alle bescheuert´ in Dauersschleife und einen Countdown. Ich denke mir, naja für zwei Nächte. Eine Einstellung, die ich bisher noch nicht nutzen musste, sich aber in Amerika zur Perfektion ausbildet.

Nun muss, nein, darf ich ehrlich sagen, dass ich echt einige coole Sachen gemacht habe: Las Vegas, Grand Canyon, die Niagarafälle und meine Lieblingsschulfreundin Lisa und ich können sagen, dass wir uns am anderen Ende der Welt getroffen und ein schönes Wochenende in Chicago verbracht haben. Und dennoch kann ich nicht anders als jeden Abend ins Bett zu gehen und zu zählen, wie lange ich noch an diesem Ort bleibe und mich jeden Morgen zum Aufstehen zu zwingen. Ich gehör´ hier nicht hin, sagt mein Bauch. Ich will hier nicht hingehören, antwortet mein Kopf.

Vegas, Baby
San Francisco fühlt sich an wie ein Schlag ins Gesicht (Naja, nur drei Nächte), ich habe mich von Eva verabschiedet und bin somit zum ersten Mal seit drei Monaten allein. Ich komme morgens halb 6 an (Nachtfahrt spart eine Hostelübernachtung) und es ist kalt. Natürlich hängt der berühmte Nebel über der Stadt. Ich könnte mir kein wärmeres Willkommen vorstellen. Ich habe aber auch ein bisschen viel verlangt. San Francisco, die Stadt der Obdachlosen. An jeder Ecke sitzen sie und starren mit vorwurfsvollen Blicken. Und wer kann es ihnen verübeln.

Immer wenn ich darüber nachdenke, was mir an meiner Reise besonders gut gefällt, nenne ich als erstes, dass ich nichts zu verlieren habe. Die einzige Konsequenz von Dummheiten ist der Verlust von dem wenigen Geld, was ich besitze und dass ich am Ende wieder bei meinen Eltern einziehen muss. Freiheit mit doppeltem Boden. In Frisco wird mir zum ersten Mal bewusst, was es bedeutet, wenn nichts mehr übrig ist, das man verlieren kann.

Niagara Falls
Die Ampel wird grün, alle Leute laufen los. Ein benutzter Starbucks Becher rollt über die Straße, in ihm noch ein Rest Sahne vom Eiskaffee. Ich sehe einen Mann mit heruntergekommenen Sachen, mein Hirn zählt eins und eins zusammen: nein, nein, nein, bitte nicht, denke ich, während der Mann den Becher hebt und mit seinem Finger versucht, so viel Sahne wie möglich aus ihm herauszubekommen.

Es sind Amerikaner! Alles was du ihnen zurufst, werden sie zurückrufen. - Robin Scherbatsky (How I Met Your Mother)

Ich bin beim Imagine Dragons Konzert. Dank Facebook habe ich am Morgen gelesen, dass sie abends im TD Garden in Boston spielen. Kennt ihr diese Plätze, über die man sich immer lustig macht? Die, ganz hinten in der letzten Reihe, bei denen man sich fragt, ob man da überhaupt noch etwas sieht? Ja, kann man und hören kann man auch ganz gut. Der Sänger ist in Plauderlaune, er erzählt, wo sie herkommen und was sie gemacht haben, um da hin zu kommen, wo sie heute sind. Dann wird er politisch.

Ich habe das Gefühl, dass ich bei dem ganzen Geschehen, wie die Anschläge in Boston und Charleston, nicht mehr stolz sein kann Amerikaner zu sein.

Klingt fair, denke ich und nicke leicht. Vereinzelt hört man Leute klatschen und dann kommt der Oberknaller. Erst hört man einen einzelnen Mann, dann stimmt die ganze Halle ein: USA, USA, U S A! Ein weiterer Beweis, dass der übertriebende Patriotismus der Ignoranz in die Hand spielt. Ich mache im Ungefähren einen Gesichtsausdruck wie Hermine, der gesagt wurde, dass die Abschlussprüfungen in diesem Jahr ausfallen werden: entsetzt und ungläubig. Ich schaue mich um und überlege, ob ich oder die Masse etwas falsch verstanden haben.

Wiedersehen mit Lisa
Ein Paradebeispiel noch, dann beende ich mein Plädoyer. Ich sitze in der Hostelküche und komme mit einem anderem Typen ins Gespräch; ich-hab-seinen-Namen-vergessen aus Minnesota. Er kommt gleich zur Sache; er liebt es jagen zu gehen und findet es vollkommen in Ordnung, wenn man Waffen zu Hause hat. Ich stelle mir das Innere meines Kopfes wie einen großen Raum mit einer einzigen Tür vor und in diesem Moment schwöre ich, kann ich die Tür mit einem lauten Knall zuschlagen hören. Er weiß, er sollte das nicht jedem erzählen, aber er sei stolz darauf. Zwei Mädels aus California kommen hinzu und bestätigen, dass das völlig normal sei und ihre Väter Gewehre sammeln würden, weil sie sie schön fänden.

Ich kann verstehen, dass ihr Europäer gegen Waffen seid. Die Medien sind schuld. Da passiert eine Schießerei und sofort diskutieren wieder alle darüber, ob Waffen verboten werden sollten. Aber wie oft so etwas verhindert wird, weil einer eine Waffe dabei hat und den anderen aufhalten kann, wird verschwiegen.

Klingt plausibel, denke ich mir. Und dann: Schade, dass man die Waffen nicht verbieten kann, damit der eine den anderen gar nicht erst von einer Schießerei abhalten muss. Glücklicherweise ist den Amis gar nicht aufgefallen, dass ich gar nichts dazu zu sagen habe, also stehe ich auf und sorge dafür, dass ich die drei nicht wiedersehen muss.

Ich habe mir lange Zeit gelassen, um über meine bisherigen Erfahrungen in Amerika zu schreiben, immer in der Hoffnung, dass noch etwas witziges passiert, was die negativen Gefühle verschwinden lässt und ich habe wirklich nette Leute getroffen. In Chicago habe ich einem
Mann geholfen eine Zugverbindung für ihn herauszusuchen und er fand mich so nett, dass er mich sofort zu sich eingeladen und mir mehrere Jobs angeboten hat (beides dankbar abgelehnt). Ich konnte eine Nacht bei Lisas Gastfamilie in Boston verbringen, in einem Haus mit unzähligen Zimmern und Labyrinth-Potenzial.

Ich bin mir sicher, dass Amerika noch viel mehr kann, aber leider hat es sich mir wie ein Land präsentiert, dass fremde Menschen und Meinungen nicht wilkommen heißt. Und damit steht es in meiner Weltanschauungsliste ganz weit unten.

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